Wie bin ich weiblich?

Sie sagt: „Wie wäre es, wenn Du versuchst einmal diesen Satz laut zu sagen: Ich bin in meiner weiblichen Kraft. “ Es ist nur ein Satz, aber sofort schließen sich die Schranken in meinem Innern.

„Und, was fühlst Du?“ fragt sie.

Ich spüre in mich hinein: Ich spüre nichts.

Und das macht mich traurig. Ich würde so gerne etwas spüren. Irgendetwas. Ich dachte, dass ich das jetzt schon ganz easy sagen kann. Dass ich jetzt so ganz easy weiblich sein kann. Und gleichzeitig werde ich sauer: „Weibliche Kraft“, was soll denn das eigentlich sein? Wer redet denn noch davon in einer Zeit in der wir eigentlich so weit sind, dass wir die Grenzen der Geschlechter öffnen und fließen lassen.

Aber bei mir fließt gerade gar nichts. Ich fühle mich nicht einmal neutral, ich fühle gar nichts. Und gar nichts fühlen, das fühlt sich leer an und hohl. Ich weiß nicht mehr was ich bin und wer. Es wäre schön, wenn das die Erleuchtung ist. Doch es fühlt sich eher an wie eine tiefe Betäubung.

Verzweiflung und Erleichterung

„Noch einmal“, ermuntert sie mich. „Versuche es noch einmal.“

Ich spreche „Ich bin in meiner weiblichen Kraft“ und dann, dann laufen die Tränen über meine Wangen. Und auf einmal fühle ich so viel. So viel Traurigkeit. Und so viel Schmerz. Und so viel Verzweiflung. Und so viel Erleichterung, denn endlich fühle ich etwas.

Und Bilder ploppen auf. Erinnerungen an all die Momente, in denen ich mir meine weibliche Seite verboten habe. Momente und Umgebungen in denen es sicherer war, neutral zu sein, nichts zu fühlen und sich nicht zu zeigen. Mit all meiner Verletzlichkeit. Mit all meinen Gefühlen. Mit all meiner Sinnlichkeit. Mit all meiner Lust. Es war sicherer, meine weiblichen Rundungen hinter weiten Pullovern zu verstecken und sie dann weg zu hungern als den Neid der Frauen zu ertragen oder die Blicke und Berührungen der Männer. Derer, die es hätten besser wissen können. Die hätten wissen können, dass ihre Blicke und Berührungen einem jungen Mädchen keine Freude bereiten. Sondern Angst.

Die Scham kommt hoch

Und ich spüre all die Scham, die in mir hochkommt, wenn ich an meine weibliche Seite denke.

Ich spüre die Scham über meine Brüste. Ich spüre die Scham über meine Achselhaare. Und über meine Beinhaare. Und über meine Schamhaare. Ich spüre die Scham über meine Schamlippen. Über den Geruch meiner Vagina. Den Geruch meines Körpers, den ich so viele Jahre lang mit teuren Parfümen übertünchte. Und ich spüre die Scham über meinen Zyklus, über das Blut welches jeden Monat aus meinem inneren heraus fließt.

Und ich spüre die Scham über mein Meer an Gefühlen. Zu weinerlich. Zu dramatisch. Zu wild. Zu feinfühlig. Ein Zuviel an so vielem. Und gleichzeitig ein zu wenig. Zu wenig Durchsetzungsvermögen. Zu wenig Resilienz.Und ich sehe all die Male, in denen ich meine weibliche Intuition wegdrückte, sie einfach ignorierte, weil ihre Informationen mir zu viel erschienen. Das passt doch alles nicht rein in diese lineare Welt des Funktionierens. In diese Welt in der wir all den Besitztümern mehr Raum in unserem Leben einräumen als unseren Gefühlen. Als unseren Seelen.

Und ich spüre die Verzweiflung über die Bilder, die sich in meinem Kopf zum Thema Weiblichkeit verankert haben. Bilder von bunten Röcken oder tiefen Dekoltees. Oder beidem. Highheels und Bilder von Hüften schwingenden, langhaarigen Amazonen oder grazilen Elfen auf dem Catwalk. Ich sehe eine bestimmte Art von Brüsten vor mir, die sich irgendwie in meinem Hirn als weiblich eingeprägt haben. Ich sehe lang geschwungene Maskarawimpern und rote Kussmünder. Ich sehe wilde Hippiefrauen mit langen Achselhaaren, die oben ohne durch den Wald laufen und wild tanzen. Und das Bild einer Hausfrau mit Schürze, die dreimal am Tag am Herd steht und immer liebevoll und präsent für ihren Mann und ihre Kinder da ist.

@Sarume Tribe Barcelona

Bin ich also nicht weiblich?

So unendliche viele Bilder, so unendlich viele Assoziationen.

Bilder, die nicht dem entsprechen, was ich bin. Oder wie ich mich fühle.

Bin ich also nicht weiblich?

Und Mist, ich dachte ich sei diesen Stereotypen schon längst entwachsen….. Ich wäre so gerne schon weiter. Ich wäre so gerne schon befreit.

Der Sturm wirbelt heftig durch mein System. Da ist viel Traurigkeit. Und Wut. Und Schmerz. Über all die Bilder in meinem Kopf. Über all die Jahre, in denen ich mein weibliches Ich verurteilt habe. In denen ich dachte, dass es so oder so sein müsste, damit ich überhaupt eine Existenzberechtigung habe.

Und dann, dann folg dem Sturm irgendwann eine Ruhe. Eine Ruhe, die dem tiefen Moment einer Heilung entspringt. Heilung, weil ich fühle. Weil ich all das fühle, was mich von meinem wahren Kern trennt. Von meinem wahren weiblichen Kern, der jenseits irgendwelcher Definitionen und Bilder liegt. Jenseits von Stereotypen, jenseits all der Schranken, die ich irgendwann einmal selbst in mir erschuf, weil es sicherer war. Weil es sicherer war, mich nicht zu zeigen.

@Grit Siwonia

Schritt für Schritt heilen und forschen

Doch heute kann ich mich zeigen.
Ich kann mich zeigen und fühlen.

Ich kann tief in mich hinein fühlen und dem Ausdruck verleihen, was ausgedrückt werden möchte. Ein Ausdruck, der jenseits aller Bilder und aller Schranken liegt.

Ich kann meiner Intuition lauschen

und ich kann ihr vertrauen.

Sie wird mich führen.

Ich bin in Sicherheit.

Auch wenn ich meine weibliche Seite öffne.

Auch wenn ich sie Schritt für Schritt neu kennenlerne, sie erforsche mit all ihren unterschiedlichen Facetten. Mit all ihren unterschiedlichen Energien. Mit all ihrer zyklischen Kraft, ihrer Kreativität, ihrer Körperlichkeit und ihrer Weisheit.

Denn letztlich sind wir es selbst, die das Konzept von weiblich oder männlich kreieren. In dem wir uns erforschen und unseren ganz eigenen Ausdruck finden.

Treffende Worte findet die Berliner Körperforscherin und Autorin Ilan-Stephani:

„Bei der weiblichen SELBSTLIEBE geht es nicht darum, anbetend vor dem eigenen Spiegelbild niederzuknien. Es geht auch nicht darum, jetzt endlich mal die Selbstliebe hinzukriegen, statt die ganze Zeit einen Zirkus damit zu veranstalten. Es geht um eine sorgfältige, schrittweise Auflösung der Ablehnung. Auf allen Ebenen. Es geht um die Bereitung eines geschützten, sicheren Raumes, in dem die Mitteilung, Bewegung und Erlösung alter Glaubenssätze und Muster stattfinden kann.“

Wer sich seine Weiblichkeit auf körperlicher Ebene tiefer erforschen möchte, dem Empfehlen wir Dörte Stanek – Körpergeschichten  

und das Schoßrauminstitut und Rachel Edwards – Tiefseelenfrauen.

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