Oh du Fröhliche? Weihnachtszeit als Ex-Bulimikerin

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Ich hatte 17 Jahre lang Bulimie. Seit sechs Jahren bin ich nun gesund. Eigentlich mache ich meine Sucht hier nicht oft zum Thema. Dieser Beitrag soll Dir Mut machen, zu Dir und Deinen Bedürfnissen zu stehen. Auch und vor allem zur Weihnachtszeit.

Da ist sie wieder. Die Weihnachtszeit. Die Zeit der Weihnachtsmärkte, der Weihnachtsfeiern und Familientreffen. Plätzchen, Stollen und Gänsekeule. Eigentlich geht es beim Weihnachtsfest ja nicht ums Essen, aber irgendwie hat sich das bei uns so eingebürgert: Schlemmereien soweit das Auge reicht. Nicht nur am Heiligen Abend. Sondern in der gesamten Adventszeit. 

Für manch einen ist das einfach nur eine schöne besinnliche Zeit. Für mich bedeutet diese Zeit, dass ich besonders gut auf meine Bedürfnisse und Grenzen achten darf. Denn auch wenn ich die Bulimie vor sechs Jahren aus meinem Leben verabschiedet habe: Es gibt immer noch Momente und Szenarien, die mich überfordern. Und viele davon häufen sich in der Weihnachtszeit.

Und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin. Stressforscher haben herausgefunden, dass unglaublich viele Menschen zur Weihnachtszeit mehr Stress denn je empfinden. So hoch sind die Ansprüche an Harmonie, Dekoration und Weihnachtsmenü……

Ich wollte einfach nur normal sein

Mit 11 Jahren hat das mit der Essstörung angefangen. Erst gar nichts essen. Und dann ganz viel. Und es wieder erbrechen. Mehrmals am Tag. Und das was noch übrig bleibt wegsporteln. Es gab Phasen, die waren besser. Und Phasen, die waren schlechter. Phasen in denen ich mich wie eine Gefangene meiner Sucht fühlte. Unfähig, aus dem Gefängnis zwischen Nicht-Essen, Über-Essen und Erbrechen zu entfliehen. Natürlich war da mein Streben nach einem Ideal vom perfekten Körper. Das Gefühl, selbst nicht schön und schlank und genug zu sein. Aber da waren auch all die Gefühle von Wut, Traurigkeit und Schmerz, die ich mit dem Essen und Kotzen betäuben konnte.

Seither waren Partys, Brunches und Feiern mit Unmengen von Essen eine echte Herausforderung für mich. Aber gesellschaftliches Zusammensein findet in unserer Gesellschaft nun mal oft über derlei Events statt. Also habe ich es immer wieder versucht. Denn ich wollte irgendwie dazu gehören. Einfach eine ganz normale junge Frau sein, die das Leben genießt, Feste feiert, sich amüsiert, mit anderen Menschen eine gute Zeit hat. 

Aber dieser Wunsch nach vermeintlicher Normalität führte dazu, dass ich oftmals über meine Grenzen ging.

Ess-Brech-Exzesse auf Partys

Jegliche Anlässe mit viel Essen waren für mich immer eine Herausforderung. Während meiner Krankheitsjahre endeten sie oft in einem Ess-Brech-Exzess. Entweder dann, wenn ich wieder allein war. Oder schon heimlich während sich alle anderen amüsierten. Nein, auf so einer Party fällt es gar nicht auf, wenn jemand immer mal wieder für ein Weilchen auf dem Klo verschwindet. 

Ich weiß nicht, ob es an der überaus großen Präsenz von Essen lag oder daran, dass ich auf Feiern immer die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz wahrnahm. Unter all den Menschen fühlte ich mich oft unglaublich einsam. Und diese Leere stopfte ich dann mit Essen, das ich nicht in mir behalten wollte, denn meine Ideale waren hoch. Vor allem die an meinen Körper.

Natürlich war da immer das schlechte Gewissen. Die anderen hatten sich ja Mühe gegeben bei der Vorbereitung der Speisen. Und meine Mitmenschen schienen die Festlichkeiten einfach zu genießen. Für mich war es der Horror. Und doch schaffte ich es meist nicht, meine Grenzen zu ziehen. Denn ich wollte mich nicht isolieren. 

Und das ist immer noch die Herausforderung, denn auch nach sechs Jahren ohne Bulimie, gibt es Settings, die mich überfordern. Das darf ich mir immer wieder aufs Neue eingestehen. Und dann liebevoll auf meine Geschichte schauen, die mich zwar nicht mehr bestimmt, aber hin und wieder meine Achtsamkeit fordert.

Und ich spüre, dass es da in mir eine Menge von Glaubenssätzen gibt a la ‚Das müsste ich doch jetzt eigentlich easy hinkriegen‘.

Vor allem zur Weihnachtszeit.

Glaubenssätze zur Weihnacht

So etwas wie:

Ein besinnliches Weihnachtsessen mit der Familie ist ein Muss.

Die Weihnachtsfeiern der Kolleg*innen kann man doch nicht einfach absagen.

Als Mutter gehört es in der Weihnachtszeit einfach dazu, Unmengen von Plätzchen zu backen und das auch noch zu lieben. 

Es ist erstaunlich, wie tief sich diese Sätze im Laufe der Jahre in mir eingebrannt haben. Und ich denke, da bin ich nicht allein, oder?

Schritt für Schritt lerne ich, noch mehr auf mich zu hören. Wirklich zu spüren, was mir gut tut und was nicht. Und darauf zu vertrauen, dass die Menschen, die mich schätzen und lieben das auch tun, wenn ich nicht mit ihnen Plätzchen backe, stundenlang über Kochmethoden lamentiere. Und auch dann, wenn ich einer Weihnachtsfeier fern bleibe.

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Franziska Schutzbach beschreibt das in ihrem lesenswerten Beitrag ‚Notizen über Bulimie‘ in wie ich finde den perfekten Worten beschrieben: 

„Übriggeblieben ist eine trotzige Weigerung, mich mit Essen zu beschäftigen. Mein Freundeskreis kennt das schon: Längere Gespräche über Essen, Kochen und gesunde Ernährung nerven mich. Ich denke: Ich habe zehn Jahre zwanghaft an Essen gedacht. Ich tue das nie wieder. Es ist mir vollkommen egal, ob ein Käse hundert Jahre in der Provence weingelagert wurde. Ich genieße Essen, groß darüber reden und nachdenken will ich nicht. Denn ich will nicht noch Zeit damit verschwenden.“ 

Bei mir geht es dabei vor allem darum, ehrlich und mitfühlend mit mir zu sein:

  • Wo stehe ich gerade? Wie geht es mir emotional? Wie fühle ich mich in meinem Körper?
  • Bin ich beim Gedanken an die dritte Weihnachtsfeier gestresst oder freue ich mich?
  • Habe ich wirklich Spaß daran zum zweiten Mal Plätzchen zu backen oder fordert es mich heraus?
  • Fange ich an, Essen zu vermeiden?
  • Was brauche ich jetzt in diesem Moment?

Auf Edition F gibt es einen lesenswerten Weihnachts-Survivalguide für Menschen mit Essstörungen.

Und nun möchte ich von dir wissen:

Wie geht es Dir in der Weihnachtszeit?

Was genießt Du?

Was fordert Dich heraus?

Ich freue mich, von Dir zu hören!

Alles Liebe,

Daniela

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